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Opfer des Nationalsozialismus: Familie Bielenberg

Zu den Verfolgten des NS-Regimes zählten auch die „Bibelforscher“, heute besser bekannt als Zeugen Jehovas. Da die Mitwirkung in politischen Parteien, Kriegsdienst und Personenkult nach Ansicht dieser Glaubensgemeinschaft nicht mit einem Leben im Einklang mit den Grundsätzen der Bibel vereinbar waren, gerieten sie in Konflikt mit dem NS-Staat. Die Organisation wurde bereits 1933 verboten. Viele Mitglieder übten ihren Glauben jedoch im Verborgenen weiterhin aus. Im Oktober 1934 begaben sie sich in offene Opposition zum NS-Regime. Rund 20.000 Zeugen Jehovas aus der ganzen Welt sandten Briefe und Telegramme an Adolf Hitler, in denen sie ein Ende der Verfolgung forderten. 1936/37 folgte eine großangelegte Protestaktion, bei der in ganz Deutschland circa 100.000 Flugblätter verteilt wurden. Über 13.000 Zeugen Jehovas aus dem In- und Ausland wurden verhaftet, misshandelt und zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. 2.000 von ihnen wurden in Konzentrationslager eingeliefert, rund 1.500 kamen dort ums Leben. 270 Personen wurden hingerichtet, weil sie den Kriegsdienst verweigert hatten.

Ein Beispiel für die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Kreis Steinburg ist die Familie Bielenberg. Heinrich Bielenberg (*1891), seine Frau Tine (geb. Poschadel, *1897) und ihre zwischen 1921 und 1933 geborenen fünf Kinder lebten seit den 1920er-Jahren in Wilster. Heinrich Bielenberg war gelernter Schuhmacher, konnte seinen Beruf jedoch wegen einer Verletzung, die er sich während seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte, nicht mehr ausüben. Er verdiente den Lebensunterhalt für die Familie mit wechselnden Tätigkeiten. 1930 trat er den Zeugen Jehovas bei. Tine Bielenberg gehörte der Glaubensgemeinschaft bereits seit 1928 an. Das Ehepaar Bielenberg war missionarisch aktiv, sie verteilten Werbematerial und organisierten Bibelstunden. Nach dem Verbot der Zeugen Jehovas stellten sie ihre Missionstätigkeiten ein, hielten aber weiterhin Zusammenkünfte ab. Dies erregte die Aufmerksamkeit der NS-Strafverfolgungsbehörden. Nach Hausdurchsuchungen im Januar 1935, bei denen Schriften der Zeugen gefunden wurden, folgte ein Prozess vor dem Schleswig-Holsteinischen Sondergericht Altona. Am 6. Dezember 1935 wurden die Bielenbergs und sechs andere Angeklagte verurteilt. Das Gericht verhängte Haftstrafen von ein bis zwei Monaten und Geldbußen. Das Ehepaar Bielenberg konnte die Geldstrafe von je 300 Reichsmark nicht bezahlen, sodass auch sie jeweils zwei Monate ins Gefängnis mussten. Nach ihrer Entlassung nahmen sie an der Flugblattaktion von 1936/37 teil. Aufgrund dessen wurde Heinrich Bielenberg am 17. Dezember 1937, Tine am 14. Januar 1938 erneut verhaftet. Heinrich wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, Tine zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Das Sorgerecht für die Kinder wurde ihnen entzogen.

Tine Bielenberg kam im Mai 1938 auf Bewährung frei. Ihr Mann wurde, nachdem er seine Gefängnisstrafe abgesessen hatte, am 16. Februar 1939 von der Gestapo ins Gefängnis nach Lübeck gebracht. Am 13. März erfolgte die Einlieferung ins KZ Sachsenhausen (Brandenburg). Heinrich Bielenberg überlebte Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten und Misshandlungen nicht: Er starb am 24. Februar 1940.

Tine Bielenberg erlangte nach 1945 das Sorgerecht für ihre Kinder zurück. 1950 wurde sie als religiös Verfolgte anerkannt, 1957 erhielt sie eine Entschädigung. Ihrem Glauben blieb sie bis zu ihrem Tod 1993 treu.

Text: V.V.

verwendete Literatur

Carsten Schröder, "Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher". Die Verfolgung der Zeugen Jehovas am Beispiel der Familie Bielenberg aus Wilster, in: Steinburger Jahrbuch 2003, Itzehoe 2002, S. 247-266.