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Opfer des Nationalsozialismus: Homosexuelle

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich Homosexuelle in Deutschland zusammengefunden, um für ihre Rechte einzutreten und Diskriminierungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu beenden. In den Großstädten, vor allem in Berlin, entstand eine umtriebige und offene Homosexuellen-Szene. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 machte die Emanzipationserfolge zunichte.

1934 wurde der mehr oder weniger offen schwul lebende SA-Chef Ernst Röhm beim sogenannten „Röhm-Putsch“ (30. Juni - 1. Juli 1934) ermordet. Röhm hatte bis dahin Verfolgungsmaßnahmen gegen Homosexuelle blockiert. Nach seiner Ermordung stand der Verfolgungspolitik, die vor allem durch Heinrich Himmler vorangetrieben wurde, nichts mehr im Wege. Ab Herbst 1934 führte die Gestapo Razzien in Berliner Szenelokalen durch, bei denen hunderte Homosexuelle verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt wurden. 1935 folgte die Verschärfung des 1872 eingeführten §175. Nun reichten schon ein Verdacht oder eine Denunziation aus, um zu einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren verurteilt zu werden. Rund 50.000 Männer waren davon betroffen. Weibliche Homosexualität war in §175 nicht erwähnt, da Frauen eine eigenständige Sexualität abgesprochen wurde.

Auch im Kreis Steinburg machte sich die Verfolgung Homosexueller bemerkbar. 1936 wurden mehrere Itzehoer der Homosexualität beschuldigt, darunter Geschäftsleute und angesehene Bürger wie Charles Rudolph von de Vos (1854-1936), der Inhaber der Zuckerfabrik. Es kam zu mehreren Verhaftungen, die vor allem durch Denunziationen zustande gekommen waren. In einer Ausgabe des "Nordischen Kurier" vom 28. Dezember 1936 berichtet die Polizeiverwaltung von Verhaftungen „wegen Verfehlung gegen §175" und dass „in der Stadt Gerüchte eine Verbreitung gefunden [haben], die weit das Maß des Tatsächlichen und des Zulässigen überschreiten". Es wurde davor gewarnt, „Beschuldigungen gegen Personen auszusprechen, die nicht begründet werden können." Beide Äußerungen zeigen die im Nationalsozialismus sehr ausgeprägte Denunziationsbereitschaft.
Einige der Verdächtigten, darunter auch der 82-jährige de Vos, nahmen sich aufgrund dieser Anschuldigungen das Leben.

1940 verschärfte sich die Situation abermals: Himmler verfügte, Homosexuelle, die „mehr als einen Partner verführt haben“, nach ihrer Haftentlassung in Konzentrationslagern zu internieren. Die einzige Möglichkeit, einer KZ-Haft zu entgehen, war die Kastration. Für Mitglieder der Wehrmacht und der SS stand auf „widernatürliche Unzucht“ die Todesstrafe.
10.000 bis 15.000 schwule Männer saßen in den KZs ein. Sie mussten den „Rosa Winkel“ auf der Kleidung tragen, wurden zu besonders schweren Arbeiten, z.B. in Steinbrüchen, eingeteilt und mussten „Umerziehungsmaßnahmen“ wie den zwangsweisen Besuch von Lagerbordellen unter Beobachtung der Wachmannschaften über sich ergehen lassen. Mit meist tödlich endenden Menschenversuchen versuchten KZ-Ärzte, die Ursachen von Homosexualität herauszufinden. In der Lagerhierarchie standen Homosexuelle aufgrund der in allen Gesellschaftsschichten verbreiteten Homophobie ganz unten. 60% der schwulen KZ-Häftlinge kamen ums Leben.

Nach 1945 blieb der §175 in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert in Kraft. Zwischen 1950 und 1965 wurden ca. 45.000 Männer wegen Homosexualität verurteilt. In der DDR verschwand der §175 im Jahr 1968 aus dem Strafgesetzbuch. Im wiedervereinigten Deutschland existierte der „Schwulenparagraph“ noch bis 1994. Die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus blieb den im NS-Staat wegen Homosexualität Verurteilten bis 2002 verwehrt.

Text: V.V.

verwendete Literatur

Karin Gröwer, Zuckerraffinerie Chs. de Vos & Co., Itzehoe 2004, S. 38-40.

Michael Schwartz (Hg.), Homosexuelle im Nationalsozialismus. Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen 1933 bis 1945, Berlin 2014.

Julia Starck, "Das Sprachrohr Hitlers in der Nordmark"- Die Schleswig-Holsteinische Tageszeitung aus Itzehoe, in: Miriam J. Hoffmann/Vivian Vierkant (Hg.), "Heute marschieren wir alle geschlossen hinter dem Führer." Itzehoe und der Kreis Steinburg 1933-1945, Itzehoe 2022, S. 47-69, hier S. 61-63.