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Zwangsarbeit im Kreis Steinburg

Das Beispiel Natalia Karpowa

Natalia Karpowa wurde am 15. Mai 1923 in der heutigen Ukraine geboren. Ihr Name befindet sich auf einem Gedenkstein auf dem Friedhof Brunnenstraße in Itzehoe neben den Namen anderer Männern und Frauen, die alle zwischen 1941 und 1945 im Kreis Steinburg verstorben sind. Ihre Herkunft wird auf dem Gedenkstein in alphabetischer Reihe aufgezählt. ITALIENER – LETTE – LITAUER – POLEN –RUSSEN – UKRAINER – UNGARN. Nach jedem Land folgen die Namen der Verstorbenen des Landes, denen das jeweilige Geburts- und Sterbedatum hinzugefügt wurde. Keiner dieser Menschen, deren Namen auf dem Gedenkstein zu lesen sind, wurde im Kreis Steinburg geboren. Alle kamen während des Zweiten Weltkrieges, meistens unfreiwillig, als Zwangsarbeiter*innen nach Schleswig-Holstein. Die Schicksale, die hinter den einzelnen Namen standen, sind im Detail heute kaum noch zu recherchieren.

Die ersten Zwangsarbeiter*innen erreichten Schleswig-Holstein bereits kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939. Anfangs gelang den deutschen Besatzern noch die Anwerbung freiwilliger Arbeitskräfte, der überwiegende Anteil der Arbeiter*innen wurde jedoch zwangsweise in das »Reichsgebiet« deportiert. Grundsätzlich widersprach es der nationalsozialistischen Ideologie, ausländische Arbeiter*innen im deutschen Gebiet einzusetzen. Um engere Kontakte der Bevölkerung mit den »fremdvölkischen« Arbeiter*innen zu unterbinden, wurden strenge Verordnungen erlassen und Merkblätter veröffentlicht, die vor dem Umgang mit den Arbeiter*innen warnten und diesen zum Teil sogar unter Strafe stellten.

Über Natalia Karpowa ist bekannt, dass sie aus der Ortschaft Starowerowka im Kreis Charkow, dem heutigen Charkiw, stammte. Im Oktober 1941 wurde Charkow durch deutsche Truppen besetzt. Natalia gehörte zu den 800.000 arbeitsfähigen jungen Menschen, die seit 1942 als »Ostarbeiter« in das deutsche »Reichsgebiet« verschleppt wurden. Gemeinsam mit weiteren Einwohner*innen aus Starowerowka arbeitete Natalia seit dem 4. September 1942 in der Sauerkohlfabrik der Firma Hengstenberg in Itzehoe.

»Ostarbeiter« wurden entsprechend des sogenannten »Ostarbeitererlasses« vom 20. Februar 1942 in geschlossenen Lagern untergebracht. Der Erlass verpflichtete die Arbeiter*innen darüber hinaus zum Tragen eines mit der Kleidung fest verbundenen blauen Aufnähers mit weißen Buchstaben »OST«, der sie als »Ostarbeiter« kennzeichnete. In der ideologischen Rassenhierarchie der Nationalsozialisten befanden sich die Menschen aus den Ostgebieten auf der untersten Stufe. Diese Einordnung spiegelte sich in der Verpflegung und Unterbringung der »Ostarbeiter« wider.

Natalia Karpowa lebte in dem Lager Leuenkamp in Itzehoe, das in unmittelbarer Nähe zur Sauerkohlfabrik Hengstenberg lag. Auf der Namensliste, die die Firmenleitung nach Ende des Krieges den britischen Besatzungsbehörden vorlegte, steht der Name Natalias zusammen mit Katarina Karpowa, die am 01. Dezember 1924 ebenfalls in Starowerowka geboren wurde. Sehr wahrscheinlich handelte es sich bei den beiden jungen Frauen um nahe Verwandte.

Während Natalia am 16. April 1945 im Krankenhaus Julienstift in Itzehoe verstarb, wurde Katarina laut der Liste der Firma Hengstenberg dort am 23. Mai 1945 entlassen. Über ihren Verbleib liegen keine Erkenntnisse vor. Natalia Karpowa wurde am 24. April 1945 auf dem Friedhof Brunnenstraße in Itzehoe beerdigt.

Text: A.S.S.

verwendete Literatur

Uwe Danker u.a. (Hg.), »Ausländereinsatz in der Nordmark«. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939 – 1945. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2001 (=IZRG-Schriftenreihe Bd. 5).

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter, Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. 2. Aufl., Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 1986.

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945. Stuttgart München 2001.

Namenliste Firma Hengstenberg, Itzehoe, LK Steinburg, 2.1.2.1/ 70744718/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/).

Sterbeurkunde Natalja Karpowa, 2.2.2.2/ 76773927/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/).

Friedhofsliste der Stadt Itzehoe im Landkreis Steinburg, 2.1.2.1 / 70744650/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/).