Zum Hauptinhalt springen

Evangelische Pastorenschaft während der NS-Zeit

Die Geschichte der evangelischen Kirchen im „Dritten Reich“ wurde lange Zeit als „Kirchenkampf“ geschildert, als innerkirchliche Auseinandersetzung zwischen der „Bekennenden Kirche“ (BK) und den „Deutschen Christen“ (DC). Seit einiger Zeit steht das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Christentum und Nationalsozialismus stärker im Fokus des Interesses: Wie stellten sich Kirchenvertreter zum NS-Staat?

Die Steinburger Pastoren deckten ein breites Spektrum an Positionierungen zum Hitlerregime ab: von aktiver Unterstützung der neuen Machthaber über das Eintreten für die kirchliche Selbstbehauptung bis hin zu politischer Resistenz. Alle drei Formen lassen sich in der Kirchengemeinde Wewelsfleth finden. Bis 1934 war dort Friedrich Heß Pastor. Als BK-Mitglied engagierte sich Heß für die Wahrung der kirchlichen Autonomie innerhalb des NS-Regimes. So verweigerte er die Verlegung eines Abendmahls trotz einer zeitgleichen NSDAP-Veranstaltung oder hielt „Bekenntnisgottesdienste“ ab. Verschiedentlich ging seine Opposition inhaltlich über den Raum der Kirche hinaus. So wandte er den „deutschen Gruß“ nicht an, betonte in Versammlungen die jüdische Abstammung Jesu und bezog in einer Predigt gegen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Stellung. Heß‘ Resistenz wurde durch den NS-Staat nicht geahndet: Die Kirche bot ihren Geistlichen einen gewissen Schutzraum. Allerdings wurde Heß 1934 in eine andere Gemeinde versetzt. Dafür hatte sich der Wewelsflether NSDAP-Ortsgruppenleiter engagiert, der zugleich in der Kirchenvertretung saß.

1938 kam Pastor Werner Gieseking nach Wewelsfleth. Gieseking war DC-Mitglied und radikaler NS-Aktivist. Bereits zu Beginn des „Dritten Reichs“ hatte er Hitler von der Kanzel gepriesen, für den Nationalsozialismus geworben und gegen Juden gehetzt: „das Vaterland fordert von Dir, Volk und Rasse legen Pflichten auf“ hieß es, oder: „Nun heisst Du [=Israel] Juda und bist zum Fluch der Menschheit geworden. […] Damit war Dein Schicksal besiegelt. Ahasver, der ewige Jude, er muss wandern und findet keine Ruhe. Heimatlos treibt er umher und fällt allen Völkern der Erde zur Last.“ Seinen Konfirmanden lehrte er: „Im Alten Testament treten uns Männer mit grossem Glauben entgegen. […] Aus unserem Volke ist es ein Martin Luther, und in unseren Tagen ein Adolf Hitler“ – der ein ganz „bescheidener, demütiger Mann“ sei: „Er trägt sein schlichtes Braunhemd ohne alle Abzeichen, lehnt Titel, Orden und hohe Ehren ab, lebt als Reichskanzler schlicht und einfach und liest in Ruhestunden auch das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus […]. Auch auf ihn passen die Worte des Herren in unserer Geschichte: ,Dein Glaube ist gross, dir geschehe, wie du willst!‘“ Als engagierter SA-Pastor nahm Gieseking an Aufmärschen teil und hatte mehrere SA-Ämter inne, etwa das des „weltanschaulichen Schulungsleiters der SA“, als der er politische Schulungsvorträge über „Volk und Judenfrage“ oder „Sippenkunde“ hielt.

Unter Berücksichtigung der skizzierten, enormen individuellen Unterschiede kann beispielhaft festgehalten werden: Der Großteil der Steinburger Pastoren begrüßte den NS-Staat und kollaborierte mit ihm. Resistenz wie im Falle von Friedrich Heß blieb die Ausnahme, auch unter den BK-Pastoren.

Text:H.F.H.

Umkreis

Verwendete Literatur

Olaf Blaschke, Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014; Friedrich Hammer, Verzeichnis der Pastorinnen und Pastoren der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche 1864–1976, Neumünster 1994; Helge-Fabien Hertz, Die ev.-luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins im Nationalsozialismus. Zur pastoralen Positionierungsheterogenität, in: Informationen für Schleswig-Holsteinische Zeitgeschichte 59 (2019), S. 98–137 [URL: http://www.akens.org/akens/texte/info/59/Kirche_Hertz.pdf]