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Die Mechanische Netzfabrik und Weberei AG

1867 entdeckte der Itzehoer Geschäftsmann Carl Hirschberg auf der Weltausstellung in Paris eine besondere Innovation: eine neuartige Maschine zur Herstellung von Fischernetzen. Zurück in Itzehoe gelang es ihm, die Itzehoer Unternehmer Heinrich Wessel, Joachim Raasche, Wilhelm Biel und Johann Ottens vom Potenzial dieser Neuerung zu überzeugen. 1873 gründeten sie gemeinsam die „Mechanische Netzfabrik und Weberei AG“ in der Brunnenstraße, zu jener Zeit die größte und modernste Netzfabrik in Kontinentaleuropa.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fertigten die Fischer ihre Netze meist selbst an. Mit der Erfindung des Motorboots und der Einführung der Hochseefischerei intensivierte sich auch die Binnen- und Küstenfischerei, sodass ihnen für die Netzanfertigung keine Zeit mehr blieb. Somit entstand das Netzmacherhandwerk, die Netze wurden nun zunehmend industriell hergestellt. Besonders in England, dem Ursprungsland der Industrialisierung und der Spinnmaschine, wurden Netzfabriken aufgebaut, die ihre Produkte in die ganze Welt exportierten. Auch deutsche Fischer bezogen ihre Netze bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorwiegend aus England. Seit der Reichsgründung 1871 war das deutsch-britische Verhältnis jedoch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht angespannt. Eine im Inland produzierende Netzfabrik garantierte die Unabhängigkeit von Importen.

Die Itzehoer Netzfabrik sollte ihren Wirkungskreis schon bald ausdehnen: Ab den 1880er Jahren wurden die Produkte nach Skandinavien exportiert, ab 1903 auch nach Russland, Österreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal, in die Niederlande und in die USA. Die Gebäude wurden ständig erweitert und nach modernen Standards eingerichtet: Durch Oberlichter und große Fenster drang Tageslicht in die Produktionshallen. Die Fußböden bestanden aus Holzdielen, sodass die Gelenke der Arbeiterinnen – in der Produktion waren fast ausschließlich Frauen tätig – beim langen Stehen an den Maschinen entlastet wurden. 1929 wurde in Lockstedter Lager, dem heutigen Hohenlockstedt, eine Baumwollspinnerei errichtet. 1933 erfolgte die Übernahme der Nordsee-Netzwerke AG Itzehoe.

In den 1960er Jahren geriet die Mechanische Netzfabrik in eine Krise: Die Fischeierträge gingen weltweit zurück, günstigere Netzproduzenten aus Ostasien machten den europäischen Anbietern Konkurrenz. 1961 wurde die Produktion deshalb auf Fenster, Türen, Dachrinnen und andere Kunststoffprodukte umgestellt, die Firma in INEFA Kunststoffe umbenannt. 1983 wurde die Netzproduktion eingestellt. 1994 gab die INEFA ihren alten Standort in der Brunnenstraße auf und siedelte nach Edendorf in die Zusestraße über. Im Januar 2008 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden.

Von den Gebäuden des ursprünglichen Firmensitzes ist kaum noch etwas erhalten. 2020 erwarb ein Investor das Grundstück, auf dem nun Wohnungen entstehen.

Text: V.V.

verwendete Literatur

Rudolf Irmisch, Geschichte der Stadt Itzehoe, Itzehoe 1960, S. 371-373.

Britta Nicolai-Kolb, Itzehoe unter königlich-preußischer Regierung 1867-1918, in: Itzehoe - Geschichte einer Stadt in Schleswig-Holstein, Bd. 2: von 1814 bis zur Gegenwart, Itzehoe 1991, S. 113-193, hier S. 118 f.

Lars-Peter Ehrich, Trister Abschied nach 136 Jahren, in: Norddeutsche Rundschau, 21.11.2009. (URL: https://www.shz.de/lokales/itzehoe/artikel/trister-abschied-nach-136-jahren-41013672)