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Der Nord-Ostsee-Kanal

Im Jahr 1887 begann in Schleswig-Holstein ein Bauprojekt von bisher nie dagewesenen Dimensionen: der „Kaiser-Wilhelm-Kanal“, der heute als Nord-Ostsee-Kanal bekannt ist und die Westgrenze des Kreises Steinburg bildet. Bereits seit dem 16. Jahrhundert existierten Pläne, eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee zu schaffen und so den Weg um die Nordspitze Dänemarks, das sogenannte Skagerrak, abzukürzen.

Der Baubeginn im späten 19. Jahrhundert hatte vor allem militärische Gründe: Das 1871 entstandene Deutsche Reich strebte nach der Vorherrschaft auf den Meeren. Um die Flotte von einer Küste zur anderen verlegen zu können, ohne dabei dänisches Gebiet durchqueren zu müssen, wurde auf Anordnung von Kaiser Wilhelm I. (1797-1888) „ein für die Benutzung durch die deutsche Kriegsflotte geeigneter Seeschiffkanal von der Elbmündung über Rendsburg nach der Kieler Bucht […] hergestellt.“ Die Marine stand dem Großprojekt zunächst skeptisch gegenüber. Nachdem die Machbarkeit durch Studien bestätigt wurde und der Kaiser durch jahrelange Überzeugungsarbeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) und des Hamburger Reeders Heinrich Dahlström (1840-1922) den Nutzen des Vorhabens erkannt hatte, begannen 1887 die Bauarbeiten. In acht Jahren Bauzeit bewegten ca. 7.500 Arbeiter, ausgestattet mit 66 Baggern, 94 Lokomotiven, 270 Schleppdampfern, 2.800 Lastwagen und 20 Kränen rund 80 Millionen Kubikmeter Erde.

Nach der Fertigstellung 1895 war der Kanal 98 Kilometer lang, 66 Meter breit und neun Meter tief. In Brunsbüttel und Holtenau bei Kiel sorgten Schleusen dafür, dass Schiffe unbeeinflusst von Strömung und Gezeiten passieren konnten. Am 20. Juni 1895 wurde die nach Wilhelm I. „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ benannte Wasserstraße durch seinen Enkel Wilhelm II. (1859-1941) mit einer Fahrt auf der kaiserlichen Yacht „Hohenzollern“ eingeweiht.

Bereits wenige Jahre später genügte der Kanal den Anforderungen der sich stetig entwickelnden Schifffahrt nicht mehr. Von 1907 bis 1914 fanden umfangreiche Ausbauarbeiten statt: Verbreiterung auf 102 Meter, Vertiefung auf 11 Meter, Ausbau und Vergrößerung der Schleusen und Brücken. Seine militärische Bedeutung sollte der Kanal im Ersten Weltkrieg einbüßen – das Flugzeug hatte dem Schiff den Rang abgelaufen. Die zivile Handelsschifffahrt gewann zunehmend an Bedeutung.

In den Jahren nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg waren die Mittel für die Instandhaltung knapp, sodass sich die notwendigen Arbeiten verzögerten. 1948 erfolgte auf Betreiben der Alliierten die Umbenennung in „Nord-Ostsee-Kanal“. Im internationalen Seeverkehr wird die Bezeichnung „Kiel Canal“ verwendet. Seit 1965 wird der Kanal ständig den Bedürfnissen der modernen Seefahrt angepasst. Die Breite beträgt nun 162 Meter am Wasserspiegel. Die Modernisierungsarbeiten dauern bis in die Gegenwart an: Derzeit werden zum Beispiel die Tore der Schleusen in Kiel-Holtenau und Brunsbüttel instand gesetzt und vergrößert sowie die Levensauer Hochbrücke erneuert.

Heute ist der Nord-Ostsee-Kanal mit im Durchschnitt 41.000 Schiffen pro Jahr eine der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen der Welt. Zehn Hochbrücken, ein Auto- und ein Fußgängertunnel sowie 14 Fähren, von denen zwei (Hohenhörn und Hochdonn) den Kreis Steinburg mit dem am anderen Ufer gelegenen Kreis Dithmarschen verbinden, ermöglichen Autofahrern, Radlern und Fußgängern die Überquerung. Die Überfahrt mit der Fähre ist kostenlos – auch wenn der Kaiser und seine Vorstellungen von der Seemacht Deutschland für den Alltag am Nord-Ostsee-Kanal unbedeutend geworden sind, gilt diese Zusicherung Wilhelms I. bis heute.

Text: V.V.

verwendete Literatur

Uwe Danker/Utz Schliesky (Hg.), Schleswig-Holstein 1800 bis heute. Eine historische Landeskunde, Husum 2014, S. 128-137.

Jann Markus Witt: Der Nord-Ostsee-Kanal, in: Jann Markus Witt/Heiko Vosgerau (Hg.), Geschichte Schleswig-Holsteins, Heide 2010, S. 258 f.

www.nok-sh.de