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Entnazifizierung

Die Entnazifizierung gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den wesentlichen Anliegen der Alliierten. Diese wollten eine tiefgreifende politische Säuberung der deutschen Gesellschaft durchführen und belastete Personen aus ihren Ämtern in Politik, Justiz, Kultur und Wissenschaft entfernen. Als formell belastet galten zunächst Personen, die während der NS-Zeit eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder in anderen NS-Organisationen wie der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) oder der Hitlerjugend (HJ) innegehabt hatten. Anhand von Fragebögen musste ein Teil der deutschen Gesellschaft ihr Engagement und ihre Verbindungen mit dem NS-Regime angeben. Allerdings entwickelten sich die Entnazifizierungsverfahren in der britischen Zone ständig weiter und anstatt nur anhand einer Parteimitgliedschaft zu bewerten, gingen die britischen und späteren deutschen Entnazifizierungsausschüsse bald dazu über, Leumundszeugen anzuhören und zu befragen.

Im Kreis Steinburg wurde zunächst eine Vielzahl von belasteten Bürgermeistern quasi sofort nach Kriegsende durch die britische Militärregierung aus ihren Ämtern entlassen. So auch Kurt Petersen, NSDAP-Mitglied und seit 1940 Itzehoer Bürgermeister, der zunächst von Helmuth Delbrück und schließlich von dem durch die Ratsversammlung zum Bürgermeister gewählten Carl-Christian Arfsten abgelöst wurde. Auch in zahlreichen Landgemeinden wurden die Bürgermeister bereits im Juni 1945 darüber informiert, dass sie ihr Amt nicht mehr ausführen durften. So geschehen bspw. in Hennstedt, Lockstedt, Beidenfleth, Mehlbek und Oldendorf.

Zur Jahreswende 1945/46 ging die Verantwortung für die Entnazifizierung dann in deutsche Verantwortung über. Die Entnazifizierungsausschüsse versuchten, zwischen Hauptschuldigen, Belasteten, Minderbelasteten, Mitläufern oder Entlasteten zu unterscheiden. Von insgesamt 406.317 entnazifizierten Schleswig-Holsteiner*innen wurden lediglich 2.217 Personen in die Kategorie Belastete eingestuft, was diesen Geldstrafen, die Entlassung aus ihren Ämtern oder die Einschränkung ihrer Pensionsansprüche einbrachte. Die restlichen Personen wurden als Mitläufer (66.500 Personen), Entlastete (206.000 Personen) oder als nichtbetroffen (131.600 Personen) kategorisiert.

So gelang es besonders in Schleswig-Holstein vielen Akteur*innen aus Politik, Justiz, Verwaltung, Polizei und Wissenschaft ihre Karrieren nach 1945 fortzusetzen. In Itzehoe wurden bspw. 42 Personen aufgrund ihrer NS-Belastung aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Bis 1955 waren lediglich fünf dieser Personen nicht rehabilitiert worden.

Auch der spätere Steinburger Landrat Peter Matthiessen konnte in der jungen Bundesrepublik nahtlos an seine Verwaltungskarriere anschließen. Vor dem Krieg war Matthiessen zunächst als Regierungsreferendar bei der Bezirksregierung in Schleswig und anschließend im Landratsamt in Eckernförde tätig gewesen. Von 1941 bis 1944 diente er in der Zivilverwaltung der besetzten Ostgebiete, dem sogenannten Reichskommissariat Ostland, unter Hinrich Lohse. Hier hatte er sich erst als persönlicher Referent des Stellvertreters des Reichskommisariats Theodor Fründt, dann als Beauftragter für die Stadt Libau einen Namen gemacht und wurde 1943 mit dem Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nachdem Matthiessen im Mai 1945 in russische Kriegsgefangenschaft geraten war, kehrte er 1954 nach Schleswig-Holstein zurück und wurde bereits im Februar desselben Jahres zum Landrat des Kreises Steinburg gewählt.  Aufgrund seiner langen Kriegsgefangenschaft musste Matthiessen kein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen, seine Vergangenheit sowie seine Engagement im NS-Regime wurden nicht öffentlich diskutiert. Bis 1972 übte er das Amt des Landrates im Kreis Steinburg aus und saß von 1967 bis 1975 zudem für die schleswig-holsteinische CDU im Landtag. Die reibungslose Kontinuität von Matthiessens verwaltungstechnischer sowie politischer Karriere ist hierbei kein Einzelfall.

Text: K.B.

Umkreis

Verwendete Literatur:

Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Ich habe nur dem Recht gedient. Die "Renazifizierung" der schleswig-holsteinischen Justiz nach 1945, Baden-Baden 1993.

Rudolf Gieseler, Probleme der Nachkriegsjahre: Itzehoe von 1945–1955, in: Itzehoe. Geschichte einer Stadt in Schleswig-Holstein, 2, hg. von der Stadt Itzehoe, Itzehoe 1991, S. 327–356.

Thomas Großbölting und Lukas Grawe, Wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Landräte hinsichtlich möglicher Verstrickungen während der Zeit des Nationalsozialismus, Münster o.J., http://docplayer.org/60053267-Gutachten-wissenschaftliche-aufarbeitung-der-geschichte-der-landraete-hinsichtlich-moeglicher-verstrickungen-waehrend.html.