NS-Akteure aus dem Kreis Steinburg: Paul Schneider
Paul Wilhelm Schneider wurde am 20. Juli 1892 geboren und stammte ursprünglich aus Westfalen. Seit 1919 leitete der ehemalige Lehrer gemeinsam mit seiner Frau Dorothea (*19. September 1892), geborene Heckenmüller, das Mühlenbauunternehmen seines Schwiegervaters in der Dorfstraße 28 in Itzehoe.
Paul und Dorothea Schneider gehörten zu den nationalsozialistischen Honoratioren Itzehoes. Bereits seit den frühen 1920er-Jahren begeisterte sich Schneider für völkische Ideen. Mit dem Wilsteraner Lehrer Dietrich Klagges (1891-1971) rief er 1923 eine „Arbeitsgemeinschaft für Weltanschauung“ ins Leben, in deren wöchentlichen Treffen ideologische und politische Fragen erörtert wurden. 1925, kurz vor der Gründung des Gaus Schleswig-Holstein am 1. März, trat das Ehepaar Schneider der NSDAP bei. Paul Schneider war Mitbegründer und Ortsgruppenleiter der Itzehoer NSDAP-Ortsgruppe, Dorothea übernahm die Leitung der Steinburger NS-Frauenschaft. Im öffentlichen Leben Itzehoes trat Schneider zu dieser Zeit vor allem als Propagandaredner in Erscheinung. Zudem organisierte er Auftritte für Joseph Goebbels und andere Propagandisten und war einer der Initiatoren der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung. Das Haus der Schneiders war Treffpunkt für NS-Größen, die sich zu Agitationszwecken in der Region aufhielten: Goebbels übernachtete dort mehrfach, 1929 war Adolf Hitler zu Gast.
1927 gab Schneider die Leitung der Ortsgruppe ab und wurde Stellvertreter des Gauleiters Hinrich Lohse. Ab 1931 war er als „Gaukulturwart“, von 1933 bis 1934 als Gauinspektor tätig. Anschließend zog er sich aus der aktiven Parteiarbeit zurück und widmete sich vorrangig dem Mühlenbaubetrieb. Der NS-Ideologie blieb er treu: Sein Engagement verlagerte sich von der propagandistischen Arbeit auf die Förderung der Vorgeschichtsforschung, die zu jener Zeit vom Kult um die mythischen germanischen Vorfahren und der Blut und Boden-Ideologie geprägt war.
1935 übernahm Paul Schneider erneut politische Ämter. Als Gauamtsleiter für Kultur weihte er 1938 die NS-Ahnenkultstätte „Germanengrab“ ein. Im Itzehoer Stadtparlament war er ab 1935 als Ratsherr und ab 1939 als Stadtrat aktiv. 1940 wurde er zum NSDAP-Kreisleiter für den Kreis Steinburg ernannt. Allerdings übte er dieses Amt ehrenamtlich aus und delegierte den Dienstbetrieb an Geschäftsführer Walter Bilkau, der das Kreisleiteramt ab 1943 hauptberuflich ausübte.
Während des Zweiten Weltkrieges stellte auch die Mühlenbaufabrik Heckenmüller größtenteils auf Kriegsproduktion um. Das Gelände um das Werksgebäude wurde am 2. Mai 1945 von britischen Fliegerbomben getroffen und verwüstet. Angeblich soll der Angriff erfolgt sein, weil Familie Schneider auf ihrem Haus deutlich sichtbar eine Hakenkreuzfahne gehisst hatte. Belegen lässt sich dieses Gerücht nicht, es ist jedoch ein Hinweis darauf, dass die Schneiders in der Stadt als führende Nationalsozialisten bekannt waren.
Nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 wurde Paul Schneider verhaftet und 1946 zu zweieinhalb Jahren Internierung verurteilt, Dorothea Schneider zu elf Monaten. Treuhänder führten in dieser Zeit die 1945/46 nach den Bombentreffern wieder aufgebaute Mühlenfabrik weiter. 1948 wurde Paul Schneider entlassen, das Unternehmen gelangte 1949 wieder in seinen Besitz. Er widmete sich fortan den Geschäften und ehrenamtlichen Tätigkeiten, z.B. im Heimatverband. Paul und Dorothea Schneider konnten ihre Stellung als erfolgreiche Unternehmer und angesehene Bürger wieder einnehmen und lebten bis zu ihrem Tod am 30. April 1974 bzw. 12. Mai 1985 in Itzehoe. Die Mühlenbaufabrik Heckenmüller existierte bis zur Insolvenz 1982.
Text: V.V.
verwendete Literatur
Lothar Bruhn, Die Mühlenbauanstalt und Mühlsteinfabrik Albert Heckenmüller Itzehoe. Unternehmensgeschichte 1902-1982, Detmold 2007, S. 22-49.
Kay Dohnke, Fackeln, Fahnen, Verhaftungen - Szenen und Stationen aus Itzehoes brauner Zeit, in: Michael Legband (Hg.), Zweimal Unrecht. Julius Legband - ein Itzehoer Maurermeister im Widerstand, Heide 1992, S. 55-100.
Kay Dohnke, Das "Kernland nordischer Rasse" grüßt seinen Führer. Gaugründung, ideologische Positionen, Propagandastrategien: Zur Frühgeschichte und Etablierung der NSDAP in Schleswig-Holstein, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte 50 (2008), S. 8-27.