Der "Garten Eden"
Ein Freizeitpark der Kaiserzeit
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war der heutige Itzehoer Stadtteil Edendorf Standort eines der größten Vergnügungsparks des Kaiserreichs: des „Garten Eden“ an der Ecke Edendorfer Straße/Oldendorfer Weg. In direkter Nachbarschaft zum 1889 eingeweihten Bahnhof errichtete Gastwirt Eduard Müller ab 1896 auf dem 2,4 Hektar großen Gelände ein Ausflugslokal mit weitläufigen Parkanlagen und vielfältigen Attraktionen.
Die Besucher*innen konnten sich im Irrgarten verlaufen, in schattigen Lauben entspannen, an Springbrunnen erfrischen und den Wintergarten mit künstlichen Palmen besichtigen. Für die Sportsfreunde unter ihnen standen drei Kegelbahnen und ein Platz für die Trendsportart des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Tennis, zur Verfügung. Die Kinder tobten währenddessen auf dem Spielplatz, fuhren eine Runde Karussell oder ritten auf einem Esel über die Reitbahn. Neben den Eseln beherbergte der Garten Eden noch weitere tierische Bewohner: Rehe, Affen, Papageien, Schildkröten, Schlangen, Eichhörnchen, Stachelschweine und ein Fuchs bevölkerten den integrierten Zoo. Zum Park gehörte außerdem ein Museum. Hier waren Alltagsgegenstände aus der Umgebung, Waffen, Ritterrüstungen und Kunstwerke, aber auch Kuriositäten und angebliche „Alterthümer“ ausgestellt. Besondere Attraktionen waren die künstliche Tropfsteinhöhle und der Aussichtsturm, der mit seinen 35 Metern Höhe bei gutem Wetter einen Ausblick bis zur Elbe bot. Im zweistöckigen Restaurant und in den Gartenlokalen standen Plätze für 200 Gäste bereit, nach Vorbestellung ließ sich das Angebot auf 500 Personen erweitern. Insgesamt konnte Wirt Eduard Müller Sitzplätze für 2.000 Besucher*innen anbieten.
Die Gäste kamen aus ganz Deutschland nach Edendorf, um dort vergnügliche Stunden zu erleben. Am Wochenende waren die Soldaten aus dem Militärstützpunkt Lockstedter Lager (dem heutigen Hohenlockstedt) zu Gast, die sich im Garten Eden mit den meist jungen und ledigen Arbeiterinnen der Itzehoer Netzfabrik bis tief in die Nacht bei Musik, Tanz und Schnaps amüsierten.
Das Jahr 1906 läutete den Niedergang des laut Eigenwerbung „schönsten Wirthschafts-Etablissements des Deutschen Reiches“ ein. Nach einem Besitzerwechsel war der Vergnügungspark 1911 insolvent, der Betrieb wurde noch bis 1914 mit wechselnden Pächtern aufrechterhalten. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs blieben die Soldaten aus. Die Säle dienten fortan als Lazarett. Nach dem Ende des Krieges 1918 wurde ein letzter Versuch gestartet, das Lokal zu erhalten. Dieser ging schief, da Notzeiten und Inflation es nicht erlaubten, Geld für Vergnügungen auszugeben. 1919 wurde das Grundstück verkauft, bis auf das Haupthaus fielen alle Gebäude und Attraktionen der Abrissbirne zum Opfer. Auf dem Gelände entstand ein landwirtschaftlicher Betrieb. Heute erinnert nur noch der Schriftzug „Garten Eden“ am einzigen erhaltenen Gebäude daran, dass Edendorf einst ein überregional bekanntes Ausflugsziel war.
Text: V.V.
verwendete Literatur
Eike von Hacht, Ein Ausflug in die Vergangenheit Edendorfs: ein Bauerndorf wird zum Industriestandort, in: Arbeitskreis Itzehoer Geschichte/Gemeinsames Archiv des Kreises Steinburg und der Stadt Itzehoe (Hg.), Itzehoe - genauer hingesehen II. Wege durch die Stadt - Historisches, Entwicklungen, Denkmäler, Itzehoe 2005, S. 58-68, hier S. 61-65.
Otto Voss, Anhang: Ergänzende historische Materialien, in: Rudolf Krohn, Spaziergänge durch Alt-Itzehoe, Münsterdorf 1981, S. 316.
Wolfgang Thomsen, Gruss aus Itzehoe. 107 Bildpostkarten von anno dazumal, Schleswig 1977, S. 105 f.